Dynamik im Taekwondo

Im fortgeschrittenen Stadium sollten Fähigkeiten und Fertigkeiten im Taekwondo aus einem wissenschaftlich fundierten Bewußtsein entspringen, das die Mobilisierung und Anwendung der menschlichen Körperkraft leitet. Bislang wurde im Training die stetig wiederholende, harte Praxis ohne seriöse wissenschaftliche Grundlegung betont, wodurch dieser Sport häufig als Geheimkunst beschworen wurde. Indes müssen wirkungsvolle Wege erschlossen werden, um der physischen Kraft die größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen. Dies ist eine Vorbedingung für die Anwendung physischer Kräfte und Fähigkeiten.

In der Natur gibt es eine Reihe verschiedener Kräfte: z.B. Schwerkraft, Trägheit, Elastizität, Reibung, Magnetismus und Elektrizität.In der Absicht, "Kraft" zu definieren, entwickelte Isaac Newton einen Zusammenhang zwischen Kraft, Masse und Beschleunigung.

F = m * a
F = Kraft, m = Masse, a = Beschleunigung

Diese Gleichung ist sehr nützlich für die Berechnung aller Arten von Kraft. Im Taekwondo wird festgelegt, daß man unter der Masse (m) das Gewicht eines Menschen versteht und unter Beschleunigung (a) die Bewegung der Hände oder Füße. Dabei besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Körpergewicht und der Geschwindigkeit der bewegten Gliedmaßen. In anderen Worten: Die Kraft eines Angriffs oder einer Abwehr wird bestimmt durch Masse und Beschleunigung. Bei einem Angriffsversuch sind die physikalischen Bedingungen gekennzeichnet durch Instabilität, bei der eine Abnahme der Masse und eine Zunahme der Geschwindigkeit verlangt wird. Umgekehrt verhält es sich bei der Abwehr: Die Zunahme der Masse und die Abnahme der Geschwindigkeit werden gefordert in eng miteinander verknüpften Beziehungen, die mit dem Newtonschen Kraftgesetz übereinstimmen.Aus diesem Grunde werden die wichtigsten Faktoren für eine naturwissenschaftliche Betrachtung der Kraft im Taekwondo hier kurz erörtert. Die dominierenden Faktoren sind: Stabilität, Abstützung, Balance (Elemente, die mit der Masse zu tun haben), Elastizität, Behendigkeit und Biegsamkeit (Elemente der Beschleunigung). Weiter gehört die geistige und nervliche Konzentrationfähigkeit dazu, durch die Masse und Beschleunigung erst zur Wirkung gebracht werden. Daneben gibt es noch eine Reihe untergeordneter Faktoren wie die Kontrolle der Atmung.

Der Drehpunkt, Stand und die Balance

Der wichtigste Faktor für eine wirksame Mobilisierung der physischen Kraft ist die Körperhaltung, die eine Person einnimmt. Das bedeutet, ein gut balancierter, sicherer Stand erlaubt zwar keinen plötzlichen Angriff, ist aber gut für die Verteidigung. Andererseits macht eine nicht ganz ausbalancierte Stellung einen effektiven, schnellen Angriff möglich, während sie zur Abwehr nicht so günstig ist. Die Lage des Körperschwerpunktes steht somit in enger Beziehung zu der Standweite der betreffenden Person.Steht ein Mensch aufrecht und hat beide Füße eng beieinander, so kann er durch Drücken mit einem Finger in jeder Richtung aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Wenn die Füße seitlich auseinandergesetzt werden, kann die betreffende Person nur noch durch Druck von vorne oder von hinten zu Fall gebracht werden, nicht mehr hingegen durch Stöße von links oder rechts. Genau umgekehrt verhält es sich, wenn man die Füße nicht seitlich, sondern nach vorne und hinten auseinandersetzt.Solange der Körpermittelpunkt nicht verlagert wird, bleibt die Bodenfläche, auf der die Füße Halt finden können, unverändert. Der Umfang der Bodenfläche, die man zum Abstützen des Körpergleichgewichts benötigt, wird entscheidend beeinflußt durch die Veränderung der Fußstellung und durch die gesamte Fläche, auf der die Füße während eines Bewegungsablaufs aufsetzen können.Hier scheint eine zusätzliche Erklärung angebracht von dem, was unter Mittelpunkt zu verstehen ist. Im menschlichen Körper, wie in allen anderen Gegenständen, gibt es zwei wichtige Mittelpunkte. Der eine ist das Zentrum, in dem man sich das gesamte Körpergewicht konzentriert vorstellen kann: Der Schwerpunkt. Er liegt beim Menschen im Bereich des Unterbauchs nahe beim Rückgrat, dem auch dadurch eine besondere Bedeutung als zentrale Stütze des Körpers zukommt. Das andere, wichtige Zentrum ist der Drehpunkt eines rotierenden, bzw. sich bewegenden Körpers.Was die Körperbewegungen angeht, so ist die sicherste Position das Liegen, da der Schwerpunkt dann am Tiefsten liegt und die Fläche des Bodenkontakts am Größten ist. Je höher der Schwerpunkt gebracht wird, desto instabiler wird der Körper. Andererseits aber nimmt die Beweglichkeit dann zu. Die Lage des Schwerpunktes beeinflußt damit die Stärke des Angriffs. Bei einem Angriff mit den Fäusten oder Füßen ist erst dann eine größere Wirksamkeit zu erwarten, wenn die Hüfte mit in die Angriffsrichtung bewegt wird. Damit wird das Wissen um den Zusammenhang F = m * a ausgenutzt, um die maximale Kraft zu erreichen. Die Bewegung des Schwerpunktes (und damit der gesamten Körpermasse m) in Angriffsrichtung erhöht die Kraft des Stoßes. Die höchste Effektivität der zur Verfügung stehenden Kraft wird dann erzielt, wenn die gesamte Bewegungsenergie auf einen einzigen Punkt, z.B. Faust oder Fußspitze, konzentriert wird.

Die Nerven

Die Nerven verästeln sich in unzählige Enden, die sich über den ganzen Körper verteilen. Jeder Reiz, den die Nerven aufnehmen, wird an das gesamte Nervensystem weitergegeben. Darüber hinaus gibt es Nervengruppen, die einzelne Muskelbewegungen hervorrufen können.Kraft kommt nur dann zur vollen Entfaltung, wenn alle betroffenen Nervengruppen koordiniert arbeiten. Geistige Konzentration trägt dazu bei, Nervengruppen aufeinander abgestimmt zu aktivieren. Die Verbindungen der Nerven untereinander sind wichtig für die Weiterleitung von Reizungen. Die zunächst unkontrollierten Verbindungen sollten dabei vorsichtig angegangen werden. Durch langes Training kann man aber auch hier, im unbewußten, sonst nicht kontrollierbaren Bereich, Einflußnahme und Beherrschbarkeit erreichen.

Die Atmung

In jedem Sport atmet man die Luft aus, wenn man den Rumpf beugen oder verdrehen muß und man atmet ein, wenn man den Körper aufrichtet. Im Taekwondo jedoch wird ausgeatmet, wenn man zu einem Schlag oder Tritt ansetzt. Im Moment des Auftreffens wird dann der Atem angehalten, um die größte Wirkung zu erzielen. Das Ausatmen verringert den inneren Widerstand und macht den Körper flexibel. Das Anhalten des Atems verleiht dem Stoß oder Schlag aber erst die volle Wirkung. Der Kampfschrei ("Kihap") im Taekwondo beim Auftreffen des Stoßes dient dazu, die Luft aus dem Brustkasten zu pressen und fördert gleichzeitig die geistige Konzentration auf genau diesen Moment. Wenn der Kampfschrei aber zu lange andauert, bevor das Ziel getroffen ist, kann nicht genügend Kraft entfaltet werden, da es ausschließlich auf die geistige Konzentration ankommt.Kein Angriff und keine Abwehr kann erfolgreich sein ohne geistige Konzentration und Kontrolle der Atmung. In einer gegebenen Konfrontation kann die erreichbare Kraft ebenfalls nicht voll entfaltet werden, wenn die Unterstützung durch die Reaktionsfähigkeit der Nerven fehlt. Aus diesem Grunde können diejenigen, die lange und hart trainiert haben, ihre Kraft mit Hilfe von Geist, Nerven und Kontrolle der Atmung weit steigern. Wem diese Fähigkeiten in Fleisch und Blut übergehen, wird über eine erstaunliche Gewalt verfügen. Solche Möglichkeiten eröffnen sich allerdings nur demjenigen, der über lange Zeit hinweg diese Theorie der Kraft durch eigene Erfahrung erlernt hat und der den Intellekt besitzt, sie wirkungsvoll zu nutzen.